Liebes Journal,
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Wohin führt der Weg?
Nach meinen Abitur gab es für mich zunächst zwei Wege: Studieren oder in ein Freiwilliges Soziales Jahr machen. Ich entschied mich für ein FSJ bei einem namenhaften Träger in Hamburg. Da ich noch während meiner Abiturphase zu Hause ausziehen musste – denn meine Mutter löste die Wohnung auf und zog mit ihren Lebensgefährten in eine 1,5 Zimmer Wohnung – entschied ich mich für das Freiwillige Soziale Jahr. Und machte dann schließlich ein BufDi – Bundesfreiwilligen Dienst.
Mein Start im FSJ
Ich begann also bei dem Träger auch weil es dort eine Regelung gab, dass wer im FSJ elternunabhängig seinen eigenen Wohnsitz pflegte einen Zuschuss von unglaublichen 120€ pro Monat erhielt. Das FSJ wurde damals und wird anscheinend immer noch mit ca. 420€ vergütet, inzwischen erhält aber auch wer noch bei den Eltern wohnt einen Zuschuss von 100€ für Verpflegung, wer alleine wohnt kriegt inzwischen 260€.
Das steht auch so überall. Leider wollte der vom Träger geführte und vermittelte Kindergarten in einem großen Schulkomplex diese Bezuschussung nicht zahlen. „Das gäbe es nicht!“, hieß es. Und ich rief bei meinem Träger an und verlangte Klärung oder einen Wechsel. Also man könne nichts machen, wenn der Arbeitgeber nicht den vereinbarten Satz inkl. des angepriesenen Zuschusses zahlen wolle. Ein Wechsel sei auch nicht möglich (!) aber ich könnte in ein Bundesfreiwilligen Dienst wechseln, wenn ich den unbedingt wollte.
Ich wollte. Und gewann nicht nur eine Arbeitsstelle die direkt vor meiner Tür lag, sondern auch Erfahrungen, die ich niemals missen möchte. (Und den versprochenen Zuschuss gabs auch.)
Meine BufDi Stelle
Ich fing bei einem ambulanten Altenpflegedienst an, der auch Hospizleistungen anbot. Meine Arbeit bestand fortan hauptsächlich aus den Pflichten einer Alttagshilfe. Ich putzte, ich fuhr einkaufen, ich ging mit den Klienten spazieren. Es wurden Rezepte abgeholt, zu Arztbesuchen begleitet und auch den Friseurtermin ließ ich nicht aus.
Und das Ganze durfte ich auf einen Fahrrad erledigen immer rundherum durch die Innenstadt-Hamburgs. Dabei hatte ich wirklich Spaß, auch wenn ich häufig an meine Grenzen stieß und in vielen Punkten mit der Pflegedienstleitung nicht so zufrieden war. Einige der Regeln und Arten erschlossen sich mir nicht. Beispielsweise mussten wir bis zu einer bestimmten Uhrzet abgesagt haben, als ich an einem Tag aber nicht mal Luftholen konnte ohne mich zu übergeben, bat ich meinen Freund anzurufen und mich abzumelden.
Als ich wieder gesund war, stauchte mich meine Pflegedienstleitung wütend zusammen, dass das gar nicht ginge und ich mich gefälligst selbst abmelden sollte. Auf den Hinweis, dass es telefonisch halt nur mit ins Telefon kotzen gegangen wäre, wurde ich der Lüge bezichtigt. (So schlimm hätte es nicht sein können…)
Die guten Seiten
Gerade im Alter neigen einige Menschen dazu etwas eigen zu werden. Ein besonderer Fall war eine Frau, die vom Charakter etwas von einer alten Gräfin hatte. Sie verweigerte grundsätzlich die Mitarbeit und ließ niemanden nah an sich heran. Trotzdem fuhr ich jede Woche dahin und fragte sie nach einen Spaziergang, was mir aber niemand (!) erzählt hatte, war dass die Dame zwar in der Wohnung ganz gut zu Fuß wirkte, draußen ohne Rollstuhl aufgeschmissen war.
Sie wollte das ganze natürlich nicht wahr haben, verneinte meine Frage nach Gehilfe oder Rollstuhl /*-und ich brauchte 30min länger als der eigentliche Termin dauern durfte um sie wieder ins Haus zu bekommen. Natürlich bekam ich Ärger – ich bekam häufig Ärger von der PDL wenn ich etwas Tat, was der Bewohner so aber wollte und ich keinen Grund kannte mich dagegen zu stellen – aber wisst ihr was?
Der Gräfin hat es gefallen!
Ein weiteres schönes Erlebnis war die Dame mit Demenz, die in einer Wohnanlage wohnte. Jeden Tag ging jemand für 20 Min zu ihr und lud sie ein im Garten eine Runde zu spazieren oder saß einfach bei ihr und sprach mit ihr. Sie wusste meistens, dass sie Demenz hatte und sich an vieles nicht mehr so richtig erinnern konnte, daher hatte sie viele Bilder mit Beschriftungen und erzählte gerne von ihren Sohn, der auch eines der Hauptbilder an der Wand hatte. Die Dame war sehr freundlich und gab gerne Lebensratschläge, manchmal wünschte ich ein wenig mehr hingehört zu haben.
Aber immer wenn ich meine Brille ausversehen auf’s Glas lege höre ich ihre Stimme: „Du trägst noch nicht lange Brille, oder?“ „Ja, das stimmt!“ „Mhm, hab ich sofort gemerkt. Du hast sie falsch hingelegt.“
Und noch viel mehr schöne Erlebnisse in meinen Bundesfreiwilligen Dienst, doch diese sollen uns erstmal langen.
Die schlechten Seiten
Die schlechten Seiten sind eigentlich allesamt übergriffiges Verhalten der Patienten gewesen. Drei sind hier besonders in Erinnerung geblieben, denn wir erinnern uns: Ich war als Alltagshilfe angestellt. Einkaufen, Putzen, Spaziergang. Eine Einführung in pflegerische Tätigkeiten hatte ich also nicht erhalten und es wurde bei der kurzen Bewerbung auch gesagt, pflegerische Tätigkeiten gehörten nicht zu meinen Aufgaben.
Auf meinem absoluten Platz eins: Eine alleinwohnende Dame mit schwerer Behinderung im Rollstuhl. Nicht nur, dass die PDL wusste, dass sie ständig Grenzen überschritt, einmal sollte ich auch alleine die Vorbereitungen für eine Reise mit dem Zug übernehmen. Ich dachte an Gepäck packen, Essen für unterwegs vorbereiten und sie rechtzeitig zur Bahn bringen. Sie dachte daran, sie zu duschen.
Wir erinnern uns: Ich hatte zuvor noch keine pflegerische Tätigkeit übernommen und sollte nun mit ihr in den Duschraum und ihr beim Waschen und Abtrocknen helfen. Eine fremde Frau auch unter den Brüsten abtrocknen. Den Schritt trocknete sie sich dann selbst ab in dem sie sich auf ein Handtuch setzte.
Platz Nummer Zwei war weniger schockierend und grenzüberschreitend, trotzdem war das für mich ein schwerer Besuch: Eine ältere Dame hatte zwar gerade erst Besuch von dem Pfleger gehabt – wir gaben uns die Klinke in die Hand – doch der Darm hält sich nicht an Pflegezeiten. Ich musste ihre Windel wechseln oder sie hilflos und dreckig in ihren Bett liegen lassen. Natürlich half ich.
Platz Nummer drei war der ältere Herr mit dem ich immer Fahrrad fuhr. Seine Frau war gerade nicht da und ihm viel ein, dass er seinen Urinbeutel noch wechseln musste. Ich sollte helfen. An dem Tag fuhr ich in meiner Pause kurz nach Hause und duschte mich von dem Urin sauber, den ich beim ungeschickten Beutelwechsel abbekam.
Und ja, man kann von Glück sagen, dass ich niemals in Erwägung zog einen Beruf in der Pflege anzutreten. Ich bin fürchterlich darin.

Was nehme ich mit?
Ich habe ein Verständnis für die Bedürfnisse von Senioren mitgenommen. Verständnis dafür, dass eine Geschichte wieder und wieder erzählt wird und das es demjenigen guttut ihm nicht vorzuwerfen, dass man diese Geschichte schon gehört hat. Interessiert und zugewandt zu sein, denn gerade negative Geschichten werden auf diese Art und Weise verarbeitet. Ich habe gelernt, wie ich einer negativen Geschichte einen positiven Weg aufweisen kann.
Außerdem habe ich viele Anzeichen von Alterskrankheiten gelernt und kann meine Erfahrungen regelmäßig bei älteren Familienmitglieder einbringen. Ich weiß, dass man gerade bei der Medikamentenbox aufpassen muss, das der Medikationsplan häufig ein Problem ist und das Hilfmittel – wie ein Rollator – dem Menschen im ersten Augenblick ein Stück Würde nehmen. Doch zeigt man sich Stolz wegen ihrer Entscheidung einen Rollator zu nutzen, einen Arzt aufzusuchen oder den Führerschein abzugeben, dann gewinnen sie dieses Stück schnell zurück.
Außerdem habe ich viele praktische Fähigkeiten im Haushaltsbereich aus meinen Bundesfreiwilligen Dienst mitgenommen und weiß, dass man Tomaten gießen muss – gießen! – noch mehr gießen!
Rate ich nun also Menschen zu einem FSJ oder einem BufDi?
Ja, das tue ich. Und ich hoffe, dass einige meiner schlechten Erfahrungen niemand machen muss. Denn alles in allem hat mir dieses Jahr gezeigt, was ich nicht möchte und was ich durchaus bereit bin zu tun. Ich fühle mich aber nicht, als hätte ich etwas besonders soziales getan. Ich hatte halt einen schlechtbezahlten Job als Gesellschafterin mit diversen haushaltsnahen Tätigkeiten. Trotzdem waren die Erfahrungen einmalig. Doch der medizinische Bereich ist mir zu unpersönlich und unliebsam seinen Mitarbeitern gegenüber.
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